Meister Eckhart: 5. Kapitel


Meister Eckhart ist kein Populist.

Wohl gibt Eckhart dem Volk (lat. populus), was es dringlich braucht und begehrt: Das Angesprochen- und Anerkannt- Werden. Er gibt eine wirklich frohe Botschaft von Gott: den Zuspruch, tatsächlich göttlich zu sein, frei von Zwängen der Werkheiligkeit, der Sündenlast und von allem „Muss“ (1). Aber was er mit der einen Hand bereitwillig austeilt, relativiert er mit der anderen. Davon gleich Näheres. 

(1) Man soll Gott nicht als außerhalb von einem selbst erfassen und ansehen, sondern als mein Eigen und als das, was in einem ist; zudem soll man nicht dienen noch wirken um irgendein Warum, weder um Gott noch um die eigene Ehre noch um irgend etwas, was außerhalb von einem ist, sondern einzig um dessen willen, was das eigene Sein und das eigene Leben in einem ist. Manche einfältigen Leute wähnen, sie sollten Gott so sehen, als stünde er dort und sie hier. Dem ist nicht so. Gott und ich, wir sind eins. Durch das Erkennen nehme ich Gott in mich hinein.

(Quint 7, S. 186)

Zunächst einmal heißt „Volk“ in unserem Kontext und zur Zeit Eckharts: alle Nicht- Lateiner, kirchlich gesprochen Laien. Ihnen allen war die gesamte wissenschaftliche Literatur genauso wie die Bibel als Lektüre verschlossen. Die einfachen Leute konnten zudem oft gar nicht lesen. 
Da war es ein mächtiges Ernst- genommen- Werden, in der heiligen Handlung der lateinischen Messe Adressat zu sein und deutsch angesprochen zu werden, den lateinischen Bibeltext in Kurzform übersetzt und erläutert zu erhalten.
Aber ach, dies geschah auf einem derart intellektuellen Niveau, dass manch einfacher Mann (2) von dem Anspruch unerreicht wieder nach Hause ging. Und viele Zuhörer werden eben, wie das bei Predigten ja häufig der Fall ist, selektiv das jeweils Ihrige herausgehört haben. 

(2) Es gibt manche arme Leute, die kehren wieder heim und sagen: »Ich will an einem Ort sitzen und mein Brot verzehren und Gott dienen!« Ich (aber) sage bei der ewigen Wahrheit, diese Leute müssen verirrt bleiben und können niemals erlangen noch erringen, was die anderen erlangen.

(Quint 26, S. 273)

Zwar sprach Eckhart in Begeisterungsrede und mit (wissenschaftlicher) Vollmacht davon, was es heißt und bedeutet, wirklich „Sohn“ Gottes zu sein (3), nämlich ihm gleich – aber leider nicht bedingungslos erfahrbar. Seine Rede von der Gelassenheit als inhärenter Voraussetzung für die Gotteserfahrung im Seelengrund ist eine harte Rede (4).

(3) Nun denn, lieber Mensch, was schadet es dir, wenn du Gott vergönnst, daß Gott Gott in dir sei? Geh völlig aus dir selbst heraus um Gottes willen, so geht Gott völlig aus sich selbst heraus um deinetwillen. Wenn diese beiden herausgehen, so ist das, was da bleibt, ein einfaltiges Eins. 

(Quint 6, S. 181)

(4) Das ist ein armer Mensch, der nichts will und nichts weiß und nichts hat. Von diesen drei Punkten will ich sprechen, und ich bitte euch um der Liebe Gottes willen, daß ihr diese Wahrheit versteht, wenn ihr könnt. Versteht ihr sie aber nicht, so bekümmert euch deswegen nicht, denn ich will von so gearteter Wahrheit sprechen, wie sie nur wenige gute Leute verstehen werden

(Quint 32, S. 303)

Dies kennen wir ja schon aus der Reich- Gottes- Erzählung Jesu, in der es vom Jüngling heißt: „…und er ging traurig fort, denn er war sehr reich“ (Mt 19, 22).

Meister Eckhart ist als Eckhart von Hochheim offenbar adelig geboren (oder als Sohn eines Ministerialen) tatsächlich kein Mann des Volkes. Und er war nun mal kein einfacher Prediger, sondern im anderen Amt immer auch Professor – heute vielleicht in einer Universitätskirche oder einer Akademie anzusiedeln.

Und doch war Eckhart populär. Es gibt heute keine einzige deutsche Predigt von ihm authentisch schriftlich verfasst. Alles was wir haben (Die kritisch edierten „Deutschen Werke“ sind inzwischen bei 115 Predigten: Bd. IV/1 G. Steer, 2003) ist durch Mit- oder Nachschrift entstanden, kursierte in immer neuen Nachschriften, teils auch neuen Text- Zuordnungen, dass er also bestimmt ebenso viel gelesen und in mündlicher Wiedergabe gehört wurde, wie original von der Kanzel. Dem trägt ja auch die Begründung der Verurteilung durch den Papst in Avignon Rechnung, die von „zahlreichen Lehrsätzen“ spricht, „die den wahren Glauben vernebeln, die er hauptsächlich vor dem einfachen Volk in seinen Predigten lehrte…“ (Johannes XXII, 1329).

Aber ein Demagoge, ein Volksverführer oder Nebelwerfer war Eckhart nie und ist es heute schon gar nicht. Es ist anrührend, wie er für seine Gottes- Lehre, seine wahrlich frohe Botschaft, wirbt, Beispiele und Vergleiche (5) herbeiholt, um besser oder überhaupt nur verstanden zu werden, und dann wieder von seinen intellektuellen Höhenflügen auf den Boden kommt, wohl wissend, was in unserer Zeit Ludwig Wittgenstein (1922) treffend formulierte: „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“

(5) Du suchst etwas mit Gott und tust gerade so, wie wenn du aus Gott eine Kerze machtest, auf daß man etwas damit suche; und wenn man die Dinge fndet, die man sucht, so wirft man die Kerze hinweg. Ganz so tust du: Was immer du mit Gott suchst, das ist nichts, was es auch sei, sei‘s Nutzen oder Lohn oder Innerlichkeit oder was es auch sei; du suchst ein Nichts, darum findest du auch ein Nichts.

(Quint 4, S. 171)

Wenn ein Meister ein Bild macht aus Holz oder Stein, so trägt er das Bild nicht in das Holz hinein, sondern er schnitzt die Späne ab, die das Bild verborgen und verdeckt hatten; er gibt dem Holze nichts, sondern er benimmt und gräbt ihm die Decke ab und nimmt den Rost weg, und dann erglänzt, was darunter verborgen lag. Dies ist der Schatz, der verborgen lag im Acker, wie unser Herr im Evangelium spricht.

(Quint, S. 144)

Doch Schweigen war seine Sache nicht, und so bringt Eckhart seine Passion in das Eingeständnis vom „Opferstock“ (6).

(6) Wer diese Predigt verstanden hat, dem vergönne ich sie wohl. Wäre hier niemand gewesen, ich hätte sie diesem Opferstocke predigen müssen.

(Quint 26, S. 273)