Nitheit
Es ist offenbar möglich, über Sein und Nichts zu schreiben, ohne Jean Paul Sartre zu zitieren. Es wäre aber ein großes Versäumnis, in diesem Zusammenhang nicht Meister Eckhart das Wort zu geben.
Als einsame Gestalt steht er mit seiner Rede vom Nichts in der Geschichte des Denkens (1260 – 1328). Einsam, weil er, von heute aus gesehen, Jahrhunderte zu früh zu seinem Durchblick und Durchbruch (wie er es nennt) kam. Einsam, weil ihn kaum jemand verstanden hat, und das bis heute anhält.
Eckhart war der Erste nach 800 Jahren, der die negative Theologie des Dionysios Areopagita konsequent zu Ende führte und das in seinen Predigten in deutsche Sprache brachte und vertrat.
Meister Eckhart: Texte
(Das Göttliche), dieses einige Eine ist ohne Weise und ohne Eigenheit. Und drum: Soll Gott je darein lugen (in den Seelengrund), so muß es ihn alle seine göttlichen Namen kosten und seine personhafte Eigenheit; das muß er allzumal draußen lassen, soll er je darein lugen. Vielmehr, so wie er einfaltiges Eins ist, ohne alle Weise und Eigenheit, so ist er weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist in diesem Sinne und ist doch ein Etwas, das weder dies noch das ist.
(Quint 2, S.164)
Alle Dinge sind geschaffen aus nichts; darum ist ihr wahrer Ursprung das Nichts, und soweit sich dieser edle Wille den Kreaturen zuneigt, verfließt er mit den Kreaturen in ihr Nichts.
(Quint 6, S.181)
Gott wirkt oberhalb des Seins in der Weite, wo er sich regen kann; er wirkt im Nichtsein. Ehe es noch Sein gab, wirkte Gott; er wirkte Sein, als es Sein noch nicht gab.
(Quint 10, S.197)
Wenn er nun weder Güte noch Sein noch Wahrheit noch Eins ist, was ist er dann? Er ist gar nichts, er ist weder dies noch das.
(Steer, Deutsche Werke I, S.402)
Sage ich ferner ,Gott ist ein Sein‘ – es ist nicht wahr: er ist vielmehr ein Überseiendes Sein und eine Überseiende Nichtheit…
(Quint 42, S.353)
Bei der Lektüre der obenstehenden Zitate fällt für den Wort-Sensiblen gleich auf, wie Eckhart den Begriff variiert, vielleicht (auf Deutsch) erst bildet: von „gar nichts“ über „Nichtsein“ und „Nichts“ bis zu „Nichtheit“ (mhd. nitheit).
Indem er das Nichts sprachspielerisch zur „…heit“ macht, erklärt er es mit einer Wortbildung generös zu etwas Vorhandenem, zur platonischen „Idee“, wie beispielsweise Gutheit, Schönheit, Weisheit… Das Nichts in der Form der Nichtheit bleibt unbeschadet im Bereich der abstracta, wird so aber für mögliche Skeptiker ein Stück mehr gefällig und akzeptierbar.
Eckhart will schließlich angenommen und befolgt werden. Er ist nicht nur Philosoph auf dem Lehrstuhl, sondern, vor allem in der Zeit in Köln, ebenso Prediger und Seelsorger. Nicht nur der „Seele“, sondern dem ganzen Menschen gilt seine Sorge, insbesondere dem göttlichen „Etwas“ in der Tiefe der Person. Er spricht freimütig von der Göttlichkeit eines jeden Menschen, jenseits des „Ich“, das außengeleitet und ego-bezogen tiefere Erfahrungen verdrängt oder verfinstert.
Das Ich kennt Gott nur dem Namen und den Eigenschaften nach. Wie alles andere Äußere ist für das Ich auch Gott außen: im Himmel oder in der Kirche, über oder neben dem Menschen. Von diesem Gott gibt es eine Menge zu wissen, man kann ihn anbeten und feiern – und vergessen.
Wer hingegen Erfahrung des Göttlichen sucht oder seine Widerfahrnisse begrifflich klären möchte, kommt also mit der herkömmlichen Populärtheologie nicht viel weiter.
Ganz anders als Dionysios, für den die Motivation für die Negationen der Gottes-Attribute die ferne Göttlichkeit war, zwischen die und dem erdentwachsenen Menschen zwei umfängliche (gnostische) Hierarchien konstruiert worden waren: die kirchliche und die ungleich differenziertere himmlische, ganz anders nunmehr Eckhart. Er sieht „Gott“ und Mensch in Eins.
Er macht, wie gesagt, in der menschlichen Psyche, da wo der Mensch nicht primär für die Außenwelt lebt, wo er bestrebt ist, ganz und nur er selbst zu sein, eine Erfahrungswelt des Nicht-Ich aus. (Die moderne Tiefenpsychologie, z.B. C.G. Jung, bestätigt dies auf ganzer Linie.) Dem entspricht dann auf der Erfahrungsebene konsequent der Nicht-Gott, oder eben die göttliche Nichtheit. Wo das Göttliche also ganz ohne Weisen und Äußerlichkeiten gedacht und erfahren wird, kann es mit der Ich-Nichtheit (dem Selbst) des Menschen zur „Erkenntnis“‚ zur Berührung (Resonanz), im Idealfall zu „Einssein“ kommen. Eckhart weiß offenbar darum, redet aber weiter nicht darüber. Wie sich so etwas gestalten kann, ist erklärtermaßen individuell zu fassen. Ob es göttlich oder säkular einfach schön erlebt wird, ob sprachlich aussagbar oder im Vorsprachlichen zu verbleiben.
Im Übrigen zeigen sich hier frappierende Parallelen zum Zen-Buddhismus. Mit dem bestimmenden Unterschied allerdings, dass im Zazen alles deutlich methodischer vonstatten geht.
Das hört sich nun alles, weil ungewohnt für herkömmliches Denken und Reden, komplizierter an, als es ist. Das Schlüsselwort zum Verständnis ist dabei eine weitere Wortprägung Eckharts: die „Gelassenheit“. Gemeint ist damit nicht gewollte oder coole Lässigkeit, auch nicht zwanghafte Unaufgeregtheit.
Eckhart hat auch keine Methode, er predigt den „armen“ Menschen.
Meister Eckhart: Texte
Du mußt wissen, daß sich noch nie ein Mensch in diesen Leben so weitgehend gelassen hat, daß er nicht gefunden hätte, er müsse sich noch mehr lassen. Der Menschen gibt es wenige, die das recht beachten und darin beständig sind. Es ist ein gleichwertiger Austausch und ein gerechter Handel: So weit du ausgehst aus allen Dingen, so weit, nicht weniger und nicht mehr, geht Gott ein mit all dem Seinen, dafern du in allen Dingen dich des Deinen völlig entäußerst. Damit heb an, und laß dich dies alles kosten, was du aufzubringen vermagst. Da findest du wahren Frieden und nirgends sonst.
(Quint, S.57)
Nun denn, lieber Mensch, was schadet es dir; wenn du Gott vergönnst, daß Gott Gott in dir sei? Geh völlig aus dir selbst heraus um Gottes willen, so geht Gott völlig aus sich selbst heraus um deinetwillen. Wenn diese beiden herausgehen, so ist das, was da bleibt, ein einfaltiges Eins.
(Quint 6, S.181)
Das ist ein armer Mensch, der nichts will und nichts weiß und nichts hat. Von diesen drei Punkten will ich sprechen, und ich bitte euch um der Liebe Gottes willen, daß ihr diese Wahrheit versteht, wenn ihr könnt. Versteht ihr sie aber nicht, so bekümmert euch deswegen nicht, denn ich will von so gearteter Wahrheit sprechen, wie sie nur wenige gute Leute verstehen werden.
(Quint 32, S.303)
Um ins eigene Nicht-Ich zu gelangen, bzw. die Ich-Nichtung zu erreichen, empfiehlt er, zu „lassen“: z.B. die vorgebliche Wichtigkeit der Dinge, die Unersättlichkeit der Wunsch-Strebungen, die pathologische Sorge um Leben und Gesundheit, schließlich auch die Gottesvorstellungen – kurzum das Haben- und Behalten-Wollen in Sicherheit.
Das ist allerdings ein Postulat, das in einer Gesellschaftsverfassheit, geprägt von Narzissmus und Hedonismus wenig Widerklang finden kann.
Daß sich bei all dem nun deutlich eine Nähe zu Martin Heidegger und seiner Rede vom Nicht-Wollen zeigt, ist von ihm selbst bestätigt. Gelassenheit als Riskieren des Nichts-Haben, des Nicht-Wissen und Nicht-Wollen erbringt die weite Offenheit, wie dies beim „Großen Bären“ bereits angeklungen ist.
Sie eröffnet eine Dimension der Kontingenz, der Zufälligkeit, des nicht Plan- und Mach-baren, des Zu-kommens von Erfahrungen und Erkenntnissen, die in einem immateriellen Verständnis bereichern, für Enthusiasten auch mit „göttlich“ zu bezeichnen wären.