28. März 2020


Willkür

Des Gedanken zweiter Teil nun ist vielleicht etwas mühsam nachzuvollziehen oder gar sich zueigen zu machen. Ihn zu denken empfiehlt sich bei der Lektüre Meister Eckharts, beispielsweise der Predigt 7.

Mir kam neulich der Gedanke: Wollte Gott nicht wie ich, so wollte ich doch wie er. Manche Leute wollen in allen Dingen ihren eigenen Willen haben; das ist böse, es steckt ein Makel darin. Die anderen sind ein wenig besser: die wollen wohl, was Gott will, und gegen seinen Willen wollen sie nichts; wären sie aber krank, so wollten sie wohl, es möchte Gottes Wille sein, daß sie gesund wären. So wollten also diese Leute lieber, daß Gott nach ihrem Willen wollte, als daß sie nach seinem Willen wollten. Man muß es hingehen lassen, es ist aber das Rechte nicht. Die Gerechten haben überhaupt keinen Willen; was Gott will, das gilt ihnen alles gleich, wie groß das Ungemach auch sei.

(Josef Quint, Meister Eckhart: Deutsche Predigten und Traktate Diogenes 1963/1979, S. 183)

Das ist schon befremdlich zu lesen und problematisch zu akzeptieren.
Zumal ja höchst unsicher und unklar bleibt, wie der „Wille Gottes“ aussieht, wie ich ihn erfahre und weiß, dass ich ihn erfasst habe. Dazu haben überdies die Kirchen und Religionen allzu locker ihre Vorstellungen vom Willen Gottes verkündet, verfügt und verpflichtend gemacht. Die Religions- und Kirchen-Geschichte kennt da entsetzliche Vorkommnisse und Vorschriften bis auf den heutigen Tag.

Unklar ist aber nicht, was Meister Eckhart mit „Gott“ meint: eben nicht ein personales Wesen, nicht „Vater, Sohn und Hl. Geist“ (Quint Pr.49), also demnach auch nicht eine anthropomorph gedachte Gestalt, die einen menschenähnlichen Willen hat und das Gewollte auch durchsetzt.
Eckhart greift einen theologischen Begriff auf, der auch zu seiner Zeit (1260 – 1328) allzu gern und unbedarft gebraucht wurde. Jetzt aber nicht im Sinne einer Schickung oder Forderung. Das wäre menschliche Herrschaft und menschliches „Reich“. Für Eckhart gilt „Gottes Reich“, die „Herrschaft“ des Göttlichen, die nunmal nicht Macht-Ausüben ist, sondern das, was immer schon war und unvermeidbar geschieht, und zwar anonym. Für das Göttliche gibt es weder Name noch Bild oder Weise, sagt Eckhart. (Quint, Pr. 2)

Somit ist „Wille Gottes“ doch ganz lapidar das, was mir, und der Welt insgesamt, aus dem Nichts her zu-fällt. (Für Eckhart ist das Göttliche „ein über-seiendes Sein und eine überseiende Nichtheit“ Quint S.32). Wir müssten also gar nicht beten: „Dein Wille geschehe“ und „Dein Reich komme“, das erledigt sich von ganz alleine. Das was tagtäglich geschieht, ist „Gottes Wille“ und „Gottes Reich“ ist das, was war, ist und kommen wird, kurzum ewiges Sein.
Die Vater-unser-Zeile zielt denn auch eigentlich darauf, in diesem Verständnis „Gottes Willen“ bereitwillig zu akzeptieren – und umgekehrt hinzunehmen, dass das, was ich wünsche und will, auch mit „Gottes Hilfe“ in der Regel nicht eintrifft.

Wenn es nun weiterhin heißt: „Der Geist Gottes weht, wo er will“, dann meint das doch etwa dies:
„Gottes Wille“ ist nicht in eine Pflicht zu fassen, er spielt ausschließlich die Kür. Will-kür nennen wir das, und mögen es eigentlich gar nicht. (Eckhart sieht das offenbar anders!)

Trotz gegenteiligen Bekundens und liturgischen Praktizierens hat somit das christliche Sprachgut die Erkenntnis der Zufälligkeit allen nicht vom Menschen gemachten und bedingten Geschehens als „göttlich“ formuliert und tradiert. Es ist eben einfach evident.

Wenn Meister Eckhart also für den Idealfall geradezu fordert, gegenüber dem „göttlichen“ Sosein in der Welt und im individuellen Alltag überhaupt keinen Willen zu entwickeln, dann ist das eine höchst gesteigerte Form der Gelassenheit.
Dem liegt wohl auch die Einsicht voraus, dass es ohnehin sinnlos ist, „Gottes Willen“ ändern oder zuvor kommen zu wollen.

Das bewusste Lassen solchen Unterfangens schafft damit Gelassenheit im Sinne von Gleichmut und Stimmigkeit mit sich und der Welt.