28. Februar 2020


Eros

Mit dem Chaos hat es naturgemäß so seine Bewandtnis – zumal wenn noch etwas in unserer Erfahrungswelt Natur gemäß ist. Da drängt sich schon die Mutmaßung auf, dass je natürlicher die Dinge oder Vorgänge sind, desto latent chaotischer werden sie erfahren.
Da helfen auch die Naturwissenschaften mit ihren Naturgesetzen nicht wirklich. Sie beschreiben und konstatieren ja nur, was beschreibbar und gesetzeshaft in wissenschaftliche Form und Sprache zu bringen ist. „Was darüber hinaus geht, wissen wir nicht“, kann man hören. Und manch mutiger Naturforscher mogelt vor das „nicht“ noch ein „noch“.

Wie weit weniger verkniffen und unkapriziös sind hingegen mit der Bewandtnis des Chaos die Mythologen umgegangen.
In Platons „Symposion“ z.B. geht es darum, über den Eros zu räsonieren. Und gleich zu Beginn, bei der Frage nach der Göttlichkeit des Eros, nimmt der Gesprächspartner Phaidros eine Anleihe bei den Mythographen:
In der Vorzeit, d.h. in der Zeit vor der Zeitrechnung, als also das Rechnen noch nicht erfunden war, war da, wie wir ja wissen, das Chaos. Eros nun ist bei Hesiod der erste Gott. Er hat keine Eltern. Das Chaos gebiert ihn, wie dann auch Gaia, die Mutter Erde. Ob es schließlich Uranus, der Himmel, oder Ophion, der Wind, waren, die mit der Erd-Materie den Anfang für das legten, was wir Kosmos nennen – Eros war der Mittler, der Bewirker und Beweger.

Insofern erhellt daraus, wie bei Platon die Diotima uns entsprechend belehrt, dass Eros eher kein Gott, sondern ein Etwas (Daimon) zwischen dem Chaos und den Göttern, zwischen Göttern und Menschen und schließlich auch zwischen Mensch und Mensch ist. Er ist dem Chaos ebenso nahe wie den Göttern. Hinwiederum ist das Chaos dem Eros näher als Göttern und Menschen.

Was Wunder, dass Eros uns auch heute als Bote, als eine Konkretion des Chaos erscheint, der zuweilen alle Logik und Gesetzmäßigkeit ad absurdum führt. Und schließlich bewegt er uns dazu, auch ihn zu lieben und mit ihm das kreative Chaos, das er vermittelt, repräsentiert und in uns weckt, mit seiner Präferenz für die Natürlichkeit.

Der Einfall oder Zufall des Eros beim Menschen, so hat die Kunst es immer wieder dargestellt, ist der Pfeil, den er abschießt, der wunderweh verletzt oder zumindest berührt. Allerdings trifft er nur die oder den, die nicht allzu verbissen und verpanzert durch das Leben gehen, oder mit allem rechnen, nur nicht mit der Wirksankeit des Chaos oder Nichts.

Da verwundert es wiederum und weiterhin nicht, wenn auch heute wieder die Wissenschaft, sei es die Teilchen-Physik oder die Astronomie, davon reden, dass als (vorerst) letzte Ursache aller Bewegung und Substanz die Spannung oder Beziehung erkannt und anzuschauen ist. Letztlich geht es um Prozesse von Anziehen und Abstoßen, von Verdichten und Explodieren, um das Zueinander und Ineinander von Energie und Materie. Wie ganz zu Anfang der Erdgeschichte Wasserstoff mit Sauerstoff eine Beziehung eingegangen sind, somit Eros in sein Schöpfungswerk eingetreten ist, so ist er der creator geblieben, der Minus und Plus miteinander ins produktive Spiel bringt, weiblich und männlich aufeinander bezieht, Yin und Yang zur Ergänzung verleitet – grundsätzlich also und immerzu das repräsentiert,

„…was die Welt
im Innersten zusammenhält“
.