Präludium (Vorspiel)
Zufällig ist mir gestern nach dem Abendkurs gesprächsweise der Zufall begegnet.
Zufall ist das, was mir ungeplant, unerwartet und unausweichlich zu-fällt. Er ist der kleine Bruder der Zukunft, die eher gemächlich, prozesshaft auf mich zu-kommt.
Der Zufall hat keine Zukunft, er hat sie, wenn er auftritt oder auf-fällt, schon hinter sich. Für einen kurzen Moment des Fallens ist er Gegenwart, kaum wahrnehmbar, zumal die Aufmerksamkeit auch nicht auf ihn gerichtet ist, sondern auf das, was er bewirkt hat. Und da ist er schon Vergangenheit: Er h a t etwas verändert, „Das war Zufall“, sagen wir.
Ich kann den konkreten Zufall also nur als vergangen, gewesen und erlebt denken. Er wird sich so nicht wiederholen. Von daher muss ich mich vor ihm nicht fürchten – wie vielleicht eher vor der Zukunft.
Da diese in vielerlei Hinsicht als Prozess erlebt wird, der fast regelmäßig immer ein Stück Gegenwart produziert (Jeder neue Tag, jede Stunde und Minute waren eben noch Zukunft), versucht der Mensch, der Regel und Gesetzmäßigkeit auf die Spur zu kommen. Er rechnet und schlussfolgert, er spekuliert und betet, ja, er hört auf Propheten und Wahrsager, neuerdings auf Populisten. Das alles, weil er sich offenbar fürchtet vor dem auf ihn Zukommenden.
Das ist ja durchaus begründet. Die Zukunft hat erfahrungsgemäß inhaltlich die ganze Breite von Möglichkeiten, die mir auch zustoßen und mir Zu-mutung sein können. Sie hat aber auch Fortuna im Team, die ein Horn voll Glück bereit hält, wiewohl es mir rechtlich nicht zusteht.
Weit über das, was kosmisches und naturwissenschaftliches Regelwerk ist, hat es die Zukunftsforschung mit ihren Hochrechnungen aber nicht hinaus gebracht. Regelmäßig werden die Prognosen nur teilweise oder gar nicht erfüllt. Dafür sind eben die Zufälle verantwortlich.
So ist der Zufall ein Bote des Chaos: an keine Logik, an kein Gesetz gebunden, nicht einmal an das der Zeit – total irrational also. Er erinnert die allzu weltklugen Leute daran, dass es bei Weitem nicht nur die Ordnung des Kosmos gibt, sondern, wenn auch im Bewusstsein schnell verdrängt und verwünscht, die schmerzlich empfundene Unberechenbarkeit. So sympathisch ist der Zufall nun also auch wieder nicht.
Aber anklanghaft göttlich: Er ist unverfügbar, er geschieht, ob wir wollen oder nicht.
Nicht dass nun alles Zufallende eine Botschaft aus dem Off sein sollte. Vielmehr ist die Tatsache des unvermeint mir Geschehens, eines Erfahrbar- und Bewusst-Werdens ohne mein Zutun, was man so auch über das Göttliche sagen kann.
Die griechische Mythologie-Entwicklung hat überdies nicht nur die Götter der Ordnung und Kultur, Zeus und Apollon, auf den Olymp befördert, sondern auch den Gott Dionysos, die mythische Gestalt für Chaos und Kreativität, für Rausch und Kontrollverlust – und eben auch für den verrückten Zufall.