Und Gott lachte: Sechstes Kapitel


…in dem Herr Gott sich weiter outet und Herr Paulsen sich als desillusioniert erlebt.

Als ich Herrn Christen-Gott diesmal fragte, ob vom letzten Mal noch etwas herüber reichte, an vielleicht nicht befriedigend Abgeschlossenem, meinte er nach einer kurzen Recherche, da habe in der zweiten Sitzung etwas mitgeklungen, was noch nicht ausreichend zur Sprache gekommen sei:

»Da hatte ich doch im Gespräch mit dem imaginierten Kardinal über den Mythos der Himmlischen Heerscharen etwas flapsig auf die peinliche Szene in der Matthäus-Passion angespielt, wo der Evangelist Jesus sagen lässt, wenn er nur wollte, würde Gott sein Himmels-Militär schicken und dem ganzen Spektakel ein Ende bereiten.

Nun war das damals, historisch gesehen, ja noch der Juden-Gott, der als Drohkulisse herhalten musste, aber ich fühle mich da von Matthäus schon eigentlich gemeint. Dass das mit den Heerscharen schon in jener Zeit nichts war, ist uns heute klar. Aber dass ich so ein Willkür-Gott sein soll, der, wenn er nur will, alles kann, aber meistens, wenn es konkret wird, eben nicht will, empfinde ich als peinlich. Der Evangelist hat offenbar an dieser Stelle an seine Jesus-Apotheosen selbst nicht geglaubt. Das macht ihn mir nicht unsympathisch, gibt es mir doch heute die Möglichkeit, ihm Recht zu geben.

Ich kann Ihnen also rund heraus gestehen, ich bin und war nie allmächtig; ja, ich bin nicht einmal mächtig.

Wie soll ich als Fiktion denn in die Realitäten eingreifen oder gar die Naturgesetze außer Kraft setzen?

Das Kirchenvolk ist natürlich nicht glücklich mit dieser Einsicht. Es hat sich schließlich mit meiner angeblichen Allmacht im Rücken selbst oft allzu mächtig aufgeführt.«

»Aber von Ihnen wird doch gelehrt, Sie seien Schöpfer des Himmels und der Erde«, wandte ich ein, wiewohl es mir selbst nicht einleuchten wollte.

»Auch das haben die frommen Schriftsteller nach dem Exil dem Juden-Gott zugewiesen. Ich war damals beim Urknall gewiss nicht dabei, und er ja wohl auch nicht. Aber die erste Schöpfungserzählung der Bibel ist keine schlechte Story, klingt da doch eine Qualität des Göttlichen durch, der Ur-Wirklichkeit und der Bewirkung allen Daseins.

Der Mythos ist auch weit besser als all die anderen, aber eben doch ein Mythos. Schlimm, wenn in meinen Kirchen immer noch so getan und geredet wird, als seien all die Geschichten, auch meine Gestalt, historische oder gar gegenwärtige Realität.«

»Sie sprechen da wieder und schon wiederholt vom Göttlichen. Sind Sie denn nicht auch das Göttliche oder wenigstens göttlich?«, musste ich mich nun doch vergewissern.

»Eher weniger«, räumte Herr Gott bedauernd ein. »Nicht göttlicher als Thomas von Aquin zum Beispiel, der in der Theologiegeschichte durchaus so firmiert. Und sicher nicht so nahe am Göttlichen wie Mozart, der eine wahrhaft amadeische Musik gemacht hat, und dies nun wirklich nicht nur, wenn er Messen geschrieben hat.

Mit Abstand aber bleibe ich weit hinter der Göttlichkeit Jesu zurück. Mich haben die Menschen über die Zeiten mit göttlichen Attributen überhäuft, aber das meiste an meiner Erscheinung ist allzu menschlich – ein bisschen überhöht zumeist oder manchmal auch maßlos; und vor allem instrumentalisiert für die jeweiligen Opportunitäten der Theologen, Kirchen und Regierungen.

Jesus war da für meine Begriffe bewundernswert göttlich. Er hat, wenn wir den Evangelisten trauen dürfen, ein sensibles Gespür für das Göttliche gehabt, auch durchaus in Abgrenzung zum zu seiner Zeit populären Juden-Gott. Er hat das Göttliche für seine Person, in seinem Alltag und in seinen Beziehungen realisiert, was ihm bekanntlich Freunde wie Feinde, beide ziemlich entschieden, eingebracht hat. Das zweite ja schließlich mit tödlicher Konsequenz.

Aber ich stehe der Erfahrbarkeit des Göttlichen eher im Wege. Ich bin für viele ein Alibi dafür, das Göttliche gar nicht mehr zu suchen. Ich trage die vielfältigen Mythen, die mir angehängt worden sind, wie einen schweren Vespermantel mit mir herum. Und die einfältigeren Geister scharen sich darunter wie bei der Schutzmantel-Madonna und haben damit den möglichen Blick auf das Göttliche völlig verstellt.

Johannes Tauler hat im Hohen Mittelalter schon recht spitz bemerkt, die ach so Frommen täten mit ihrer Frömmigkeit alles, um sich ›Gott‹ vom Leibe zu halten. Damit hat er sicher nicht mich, sondern die Erfahrung des Göttlichen gemeint.«

Herr Christen-Gott hatte heute eine desillusionierende Art, die selbst mir als religiös indifferentem Zuhörer bedenklich erschien. Ich dachte dabei an all die Vermittler in den christlichen Kirchen und ebenso an deren Verkündigungsadressaten, wie so eine Rede wohl bei ihnen einschlagen würde…

»Dann sind Sie ja wohl auch nicht unsterblich«, machte ich jetzt noch einmal den Stichwortgeber. Mir war die Rede des Herrn Gott aus unserem ersten Treffen wieder in Erinnerung gekommen. In einem etwas vorwurfsvollen Ton griff mein Gegenüber das auf:

»Ich ließ doch schon durchblicken, wie mir die ›Gott ist tot‹-Theologen und sonstigen -logen so recht angenehm sind. Ich möchte gerne weniger werden, damit das Göttliche in der Welt mehr in Erfahrung und zu Bewusstsein kommt. Aber so lange es das Christentum gibt, wird es mich wohl geben müssen.

Im Übrigen sind meine alten Kollegen Zeus, Baal, Marduk und Amun, und wie sie noch heißen, alle unsterblich, aber tot.«

Dann querte Herr Gott plötzlich auf ein anderes Gleis: »Ich halte es überhaupt für skandalös, dass die Religionen, ganz ausgeprägt auch das Christentum, so eine Fixierung auf die Toten entwickeln. Ihre Gründer, Väter, die Zeugen und Wiederzeugen sind längst, oft seit Jahrhunderten, tot. Deren Autorität aber gilt im Zweifelsfall gegen die Lebenden, und jeder Fortschritt ist so gesehen zunächst immer erst ein Rückschritt. Denn ohne die versammelten Toten und ihren Segen darf es in den Kirchen keinen Schritt weitergehen. Im Namen der Toten werden die vorwitzigen Neuerer verurteilt und viele sind in Verpflichtung auf die Toten selbst getötet worden. So genannte Reliquien mauern die Katholiken noch heute in ihre Altäre – es ist eine Nekromanie mit der Religion! Ich habe die Grabes-Gruft-Luft leid, ich liebe und wähle Aurora, die Morgenröte und Ruach, die frische Luft. Das sind zwar auch nur allegorische Gestalten, aber was sie darstellen, ist lebendig und immer wieder neu.«

Mir war nun doch etwas schwindelig geworden, über so viele provokante, aber irgendwie doch auch erwartete Eröffnungen und Klarstellungen. Herr Gott war dabei in einen heiklen, deutlich erregten Zustand geraten.

Es schien mir geradezu, so wie in diesem Setting war er lange nicht mehr oder noch nie gefragt worden, und ich sagte es ihm. Mit resignativem Unterton beklagte er sich:

»Wer fragt Gott schon, wie es ihm geht, wie er sich fühlt und sich selbst einschätzt? Seit Jahrhunderten meinen die Kirchen, nahezu alles über mich zu wissen, das Restliche schlussfolgern und spekulieren sie sich zurecht, und manchmal auch zu unrecht.

Die Gottesmänner und -frauen der Kirchen sind Meister der Antwort. Ja, sie antworten häufig auf Fragen, die keiner gestellt hat. Als Sprach-Ästhetiker und Wort-Akrobaten produzieren und verkündigen sie oft einen Schnick-Schnack auf hohem Niveau, l’art pour l’art an den Menschen vorbei. Sie fragen nicht, weder Gott noch die Menschen – und so fragt sie selbst auch bald niemand mehr.«

»Ich muss Sie nun aber noch eins fragen«, entschied ich mich nun doch. Die Toten-Klage in der Rede des Herrn Gott soeben stand noch vernehmlich im Raum.

»Verkünden Ihre Kirchen nicht die Lehre von der Auferstehung Jesu, der als Sohn Gottes ewig lebt? Ich erinnere mich an das Wort aus dem Osterevangelium: ›Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?‹«

Da kam noch einmal der bekannte Stoßseufzer: »Oh Je! Jetzt haben Sie mich aber erwischt und gestellt! Das ist mein ureigentliches Problem, die so genannte Christologie. Die ist ja doch auch ein Konstitutivum für mich als Christen-Gott. Ja, Christus ist nach der Lehre sogar mein Sohn.«

»Aber von allen, die das inzwischen in Zweifel ziehen, müssten Sie doch der erste sein, Sie müssten das doch wissen«, warf ich ein.

»Mit dem Wissen ist das so eine Sache in Gottes-Dingen, es plagt mich ja entschieden, dass es da nicht viel zu wissen gibt. Vielleicht am ehesten könnte ich sagen, was für mein Dafürhalten nicht ist, nicht sein kann – und dies unabhängig von der Prämisse, ›was nicht sein darf‹. Diese Haltung der Schul- und Traditions-Theologen und der Seelsorger klingt mir schrill im Ohr. Dahinter sehe ich dann wieder den Herrn Paulus mit seinem Verdikt: Hinfällig wäre dann all unser Glaube«.

»Das scheint mir nun doch komplizierter zu liegen, als ich dachte«, gab ich zu bedenken. »Wollen wir das Weitere nicht lieber auf die nächste Sitzung verschieben, ich fürchte, das sprengt sonst unseren Zeitrahmen.«

»Aber wir haben heute gar nicht gearbeitet«, sagte Herr Gott halb erschrocken und halb enttäuscht.

»Ich habe erlebt, dass Sie intensiv am Arbeiten waren und Einiges zu Bewusstsein gebracht haben. Freud hat das einmal ›Aussprechen heilt‹ genannt. Ihre Assoziationen waren doch ein kühner Bogen und auf mehrfache Weise erhellend.«

Etwas kleinlaut und nicht ganz zufrieden verabschiedete sich mein Klient.

»Aurora möge Ihnen jeden Tag neu leuchten und Ruach den Atem stärken und damit die Lebendigkeit!«, sagte ich im Stil der Segenssprüche. Er dankte lächelnd und merkte vielleicht jetzt, wie weit er doch wieder gekommen war.