Und Gott lachte: Fünftes Kapitel


…in dem Gott zur Schlange wird und die Schlange sich als göttlich erweist

»Sie hatten in einem unserer Gespräche mal die Bemerkung gemacht, Mephisto sei Ihr kleiner Bruder. Damals ging das so obenhin weg, es hat mich aber weiterhin beschäftigt – möchten Sie vielleicht noch einmal darauf zu sprechen kommen?« begann ich unsere dritte Sitzung.

»Ja, ja, das ist so ein familiäres Verhältnis«, griff Herr Christen-Gott das Thema eifrig auf. Ihm war es offenbar ziemlich präsent:

»Wissen Sie, ich war insgeheim immer neidisch auf ihn, er war ja nicht nur auf dem Theater beliebt, witzig, spritzig und guter Dinge, dem prallen Menschenleben zugetan – und ein Meister des Augenblicks.

Selbst im Puppentheater ist er die heimliche Identifikationsfigur vieler Kinder. Seine Potenz, sein Widerspruchsgeist und seine Pfiffigkeit faszinieren sie, vor allem aber das Verbotene, was er tut und vertritt. Und wenn er dann Schläge einstecken muss, dann sind viele Kinder auch eher in seiner Rolle, als in der Figur, die Schläge austeilt.«

Ich nickte zustimmend, denn ich fühlte erinnernd das schlechte Gewissen, das ich als Kind hatte, bei meiner klammheimlichen Sympathie für den Teufel.

Herr Gott aber assoziierte weiter:

»Leider war es in der Christentumsgeschichte ja bald dahin gekommen, dass er überhaupt der Prügelknabe war – für die Frommen und Braven wurde er die Projektionsfigur für alles Böse schlechthin. Und die Priester und Theologen haben dann eifrig und phantasievoll an seiner Schreckgestalt gewerkelt. Ja sie haben wohl auch selbst ihre inneren bösen Geister und Wahngebilde, ihre seelischen Deformiertheiten, traumatischen Schmerzgestalten und introjizierten Über-Ich-Gespenster mit ihm verwoben, so dass die labileren Gemüter durchaus Angst vor ihm empfanden.

Selbst der griechische Pan, der doch ein so erfrischender, belebender Naturbursche ist, musste ihm dann noch das Bocks-Kostüm abtreten, das ihn für die Augen der Unkundigen vollends zur animalischen Unperson machte.«

»Ich bin perplex, mit wie viel Wärme und Mitgefühl Sie von ihm reden«, warf ich mit Verwunderung ein. »Er war doch immer Ihr großer Gegenspieler auf dem Welttheater, in den Predigten und der häuslichen Katechese.«

»Wir sind ja leider auch in der Pervertiertheits-Erfahrung Geschwister, was haben die kirchlichen Gottes-Designer nicht alles auch aus mir gemacht. – Dabei spüre ich, wie wir im Weltengefüge des Göttlichen eine ganz andere, schönere Rolle haben könnten. Wir hätten das Zeug dazu, die Unerfahrenen auf das Göttliche zu verweisen und umgekehrt das Göttliche an die Menschen zu vermitteln. Mehr oder weniger sind wir damit aber gescheitert, erst er – bereits als Gegenkonstrukt zum Juden-Gott. Und je mehr wir uns der Gegenwart näherten, desto mehr und schmerzlicher auch ich.

Mir gefällt das gar nicht, ja es ärgert und ängstigt mich. Und ich schäme mich über meine Laxheit und Untätigkeit gerade in den letzten hundert Jahren. Ich hätte schon viel früher gegen die neuerlichen Überfremdungen protestieren müssen, um eine Befreiungsstrategie zu entwerfen.

Heute sitze ich hier bei Ihnen, weil ich einigermaßen ratlos bin.«

Ich erschrak nicht wenig über dieses Anerbieten und die Erwartung, die ich heraus hörte.

»Ich versuche mich als Psychologe«, begann ich zaghaft. »Ist da nicht eher und zunächst die Theologie gefragt?«

»Ach bleiben Sie mir doch mit denen«, bemerkte Herr Gott gereizt, »die haben mich doch so zurecht gestutzt, dass mir selbst die letzte Kreativität verbaut erscheint. Der neueste katholische Katechismus schreibt mir Seins-, Denk- und Verhaltens-Weisen vor, die dermaßen phantasietötend sind, dass ich nur noch die Flucht ergreifen konnte – wie Sie wissen, ins protestantisch-säkulare Dänemark.

Mein Bruder, der Teufel, hat übrigens beste Erfahrung mit Ihrer Zunft gemacht. Seit all die Verquertheiten im seelischen Haushalt der Menschen einigermaßen aufgeklärt und benannt sind, brauchen die Leute ihn als Schreckgestalt kaum noch. Außer den ganz fundamentalistischen, die ohne Satan, wie sie ihn sich zurechtgedeutelt haben, nicht leben können. Aber denen tut er ohnehin ungern einen Gefallen und lässt sie in ihren Höllen-Phantasien schmoren.«

Ich fühlte mich nicht mehr ganz so überfordert und unzuständig und erkundigte mich vorsichtig: »Es scheint geradezu, als wollten Sie von Mephisto lernen?«–

»Das versuche ich schon seit längerem«, kam der überraschende Bescheid, »nur, er ist so ganz anders, so weltgewandt, geistreich und ironisch. Das ist mir doch entschieden fremd.«

»Ich hätte da eine Idee«, versuchte ich mich weiter zu tasten. »Mephisto redet im Faust doch von seiner Muhme, der Schlange. Die ist ja weitaus älter als er und so gar nicht für Vergleich und Konkurrenzdruck geeignet. Wollen Sie die nicht mal näher kennenlernen?«

Herr Gott fand das interessant und reizvoll. Ich deutete auf den leeren Stuhl: »Machen Sie sich’s bequem!«

Als er Platz genommen hatte, versicherte ich ihn und mich, ob der Rollentausch geglückt war. »Ich bin die Paradies-Schlange«, sagte er stolz, »am verbotenen Baum inmitten des Gartens.«

»Wie ist es mit dem Gegenüber?« führte ich weiter. »Hier wäre ein Dialogpartner«, und ich schob einen zweiten Stuhl in Position. Herr Gott konzentrierte sich kurze Zeit:

»Da steht Eva, schön wie die Venus von Botticelli. Ich habe geradezu Hemmung, sie anzusprechen.«

»Sie sind die Muhme Schlange«, gab ich ihm in Erinnerung, und er lehnte sich entspannt zurück.

»Frau Eva«, begann er, »wir kennen uns schon, nur hier sind wir noch nie zusammengetroffen. Ich halte mich hier übrigens öfter auf, und auch Sie hat Ihr Weg in jüngster Zeit vermehrt zu diesem Baum geführt. Ihr Gott hat kürzlich Adam und Sie vergattert, von den Früchten dieses Baumes nicht zu essen, unter Todesstrafe, wie ich hörte.

Er hat vielleicht nicht bedacht, dass er Sie damit erst auf diese Lokalität aufmerksam gemacht und Ihr Interesse geweckt hat, was führt Sie sonst wohl mitten in diesen Hain?«

Herr Gott machte eine Pause und ich bedeutete ihm: »Eva kann durchaus in einen Dialog eintreten. Sie müssten nur die Rollen und die Stühle tauschen.« Er ging darauf ein, setzte sich auf den Eva-Stuhl, und ich fragte: »Sehen Sie die Schlange gegenüber? Und wer sind Sie?«

»Ich bin Eva und habe mich gesetzt.« Dann schaute er zum Stuhl der Schlange und sagte wie beiläufig: »Nett, Sie zu sehen. Aber ich wäre ehrlich lieber allein gewesen. Ich wollte mir in der Tat den Baum anschauen, er ist ja eine Augenweide und die Früchte sind so richtig prall, rot und reif. Warum sollte ich davon sterben? Aber das wissen Sie natürlich auch nicht.«

Ohne meine Intervention wechselte Herr Gott auf den Schlangen-Stuhl gegenüber zurück:

»Doch, doch, das weiß ich sehr wohl. Dieser Baum ist nämlich meiner, allein noch meiner. In alter Zeit war ich die Herrin des ganzen Paradieses, bis die Priester in Jerusalem mir diesen Macho-Gott hierher geschickt haben. Da haben sie meinen Einfluss immer weiter zurückgedrängt, bis auf diesen Baum. Ich habe sie rechtzeitig aufgeklärt, dass das ganze Paradies sterben würde, wenn sie die Mitte des Gartens zerstören würden. Sie hatten nämlich gemerkt, dass mein Baum ein besonderer ist, und wollten ihn ausreißen.

Nun warnt Ihr Gott Sie natürlich, um Sie von meiner näheren Bekanntschaft, vor allem aber meiner Wirkkraft, abzuhalten.

Ich merke wohl, dass Ihnen der Baum gefällt, nur ich bin Ihnen offenbar nicht geheuer. Ihr Gott wird mich Ihnen beiden nicht wenig denunziert haben.

Ihr werdet nicht sterben, wenn ihr vom Baume esst, euch wird gar nichts passieren, außer dass ihr euch nackt und allein vorkommt vor dem Gott, der euch so gerne in seinem goldenen Paradies-Käfig behalten will, wo ihr brav macht, was er will, vor allem aber lasst, was er nicht will: Ihr sollt euch nicht selbst Gedanken machen, nicht eigene Bedürfnisse und Lüste haben, nicht eigene Wege gehen. Bislang hat euch die Mauer um den Garten wohl noch nicht gestört und ihr wollt gar nicht wissen, wie es draußen aussieht.

Wenn ihr aber von den Früchten esst, wird euer Gott sehr beleidigt sein, weil er ein läppisch eifersüchtiger Gott ist, und euch vors Tor setzen und verbannen. So ist er nun mal, er hat das Zeug zu noch schlimmeren Unmenschlichkeiten, wenn die Menschen ihm nicht parieren und ihren eigenen Willen haben.«

Vom Stuhl der Eva antwortete mein Klient sodann: »Sie machen mich neugierig, aber mehr noch machen Sie mir Angst. Ich weiß wirklich nicht, wie’s draußen aussieht, aber so schön wie hier bestimmt nicht. Übrigens habe ich wirklich schlimme Sachen von Ihnen gehört. Sie sollen behaupten, selbst göttlich zu sein. Aber es kann doch nur einen Gott geben, so viel ist nun mal klar.«

»Sagen Sie das nicht so unbedingt«, antwortete Herr Gott als Schlange. »Es gibt auch für mich nur eine göttliche Macht, von der wir nichts wissen, aber viel erfahren, wahrnehmen und vorstellen können – aber viele Götter. Die Menschen hören nie auf, sich Götter zu machen nach ihrem Bilde.

Ihren Gott da haben die Bibel-Redaktoren bereits in der frühen Königszeit stilisiert und mit Macht ausgestattet. Er ist nicht sonderlich göttlich, aber befremdlich menschenähnlich, mit einem fragwürdigen Charakter. Wie er restaurativ alles darauf verwendet, alles beim angeblich guten Alten zu lassen, wie er sich abgrenzt von allem Fremden, es sogar zum Greuel erklärt, das haben Sie doch selbst erlebt. Wie hat er mich Ihnen gegenüber nicht eifernd herunter gemacht?

Ich bin viel älter als Ihr Gott und vermeine wirklich, etwas vom Göttlichen zu verstehen. Und es gibt genug Leute, die erklären, durch mich das Göttliche zu spüren.«

Herr Christen-Gott wechselte eilig auf den anderen Stuhl:

»Wenn das Göttliche erfahren so eine sonderbare Mischung aus Faszination und Furcht bedeutet, dann will ich das Ihnen vielleicht glauben. Mir ist gerade so, und das kenne ich gar nicht. Dieses Gefühl habe ich noch nie gehabt. Unser Gott ist da eher autoritär – mal furchtbar lieb und fürsorgend und dann wieder gekränkt und cholerisch polternd. So ganz einfach und prima ist es im Paradies hier nämlich doch nicht.«

Als Herr Gott wieder auf dem Schlangen-Stuhl saß, musste er doch belustigt kichern über das, was er eben vom Eva-Stuhl gesagt hatte. Er fiel für einen Moment aus der Rolle, schaute zu mir herüber und sagte: »Ich wusste bislang gar nicht, was ich alles weiß.« Dann blickte er aber wieder Richtung Eva-Stuhl und erklärte:

»Lange vor der Zeit Ihrer Jerusalem-Priester hat es mal einen gegeben, der mit der Götterei Schluss machen wollte. Tief in der Wüste hatte er eine Erfahrung des Göttlichen und kam zu der Einsicht, sein Name sei ›Ich bin da‹. Mehr nicht, und auch nicht weniger. Ich finde das genial. Aber für die Vielen war das zu karg und spröde, und es war auch kein Staat damit zu machen. Es war dem Volk wohl nur zu vermitteln, wenn der ›Ich bin da‹ auch ihr Stammesgott wurde, der für sein Volk zuständig war und gegen seine Feinde – ein nützlicher Übervater. Der Mythos erzählt dann auch von allerlei Mirakeln. Und schleichend entwickelten die Gottes-Lehrer den eifersüchtigen Gott, der dann auch der neue Chef im Paradies wurde. Schade, jammerschade!

Sie könnten allerdings auch selbst mal die Wüste ausprobieren. Sie ist wirklich nicht kommod, aber frau und man können da Erfahrungen machen von unschätzbarer Intensität. Der Weg zurück ins Paradies ist dann allerdings versperrt. Sie werden aber viel von sich und Ihren noch nicht geahnten Fähigkeiten erleben – vielleicht auch dem Göttlichen begegnen. Es gehört zum autonomen Menschwerden einfach dazu, dass das Paradies verlassen und die Wüste riskiert wird.

Ich habe da auch einen nahen Verwandten, Prometheus, ein Grieche, der würde sich bestimmt für die erste Zeit um Sie kümmern. Er weiß und kann so ziemlich alles, was der Mensch so braucht, wenn er allein auf sich gestellt sich in die neue Welt finden muss.

Sie sollten aber von den Früchten nicht alleine essen. Bringen Sie doch beim nächsten Mal den Adam mit. Er hat mich bislang noch nie recht wahrgenommen, er neigt entschieden zum Gehorsam. Der neue Weg, der hinter dem Paradiestor beginnt, ist wirklich besser zu zweit zu gehen.«

Herr Gott holte tief Luft und meinte: »Das reicht wohl fürs Erste.« Ich bat ihn zurück auf den Klientenstuhl, und er fuhr gleich fort: » – aber das ist ja ganz frappierend, was Ihre Gestalt-Arbeit so alles locker macht und zutage befördert. Ich kriege geradezu Lust, mich mit Mephisto mal wieder zu treffen. Vielleicht können wir gemeinsam an die alten Geschichten anknüpfen. Meine Kirchen werden allerdings nicht begeistert sein.«

Ich bedeutete ihm, dass auch die Sitzungszeit zu Ende sei, und er verabschiedete sich recht heiter gestimmt in gelöster Verfassung.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert