Meister Eckhart ist kein Heiliger.
Dies ist nun ganz und gar nicht bedauerlich, denn posthum in die befragwürdige Gesellschaft befördert zu werden, die wir in der Litanei und in dem Fest Allerheiligen meinen, ist nicht unbedingt eine Ehre und wäre im Falle Eckharts geradezu ein Missgriff. Ist das Selig- und heilig- gesprochen- Werden doch meist ein Ergebnis von Kalkül der zuständigen Stellen in Rom: Personen, die sich um die Kirche, ihre Moral und Rechtgläubigkeit, auch die Sicherung ihrer Macht und Geltung verdient gemacht haben, der Nachwelt als Vorbild zu präsentieren. (Auch lokale oder Gruppen- Interessen und Eitelkeiten spielen dabei ja gelegentlich eine Rolle.)
Eckhart passt für keines der genannten Attribute. Ja, aus kirchlicher Innenperspektive muss heute akzeptiert werden, was zur damaligen Zeit gesagt und verkündet worden ist (Papst Johannes XXII in Avignon 1329), dass „dieser irregeleitete Mensch gegen die hellleuchtende Wahrheit des Glaubens auf dem Acker der Kirche Dornen und Unkraut hervorbringend und emsig beflissen, schädliche Disteln und giftige Dornsträucher zu erzeugen, zahlreiche Lehrsätze vorgetragen, die den wahren Glauben in vieler Herzen vernebeln…“.
Eckhart hat der Kirchlichkeit offenbar eher geschadet und tut das vielleicht noch heute, wo es wieder attraktiv geworden ist, ihn zu lesen, über ihn zu disputieren, ja ihn persönlich anzunehmen.
Schließlich hätte er selbst sich sicher dagegen verwahrt, in den elitären Klub lanciert zu werden, den „aus der Seele zu vertreiben“ er so unerbittlich empfiehlt (1). Denn wo, als in den Seelen der Gläubigen, sind die Heiligen denn noch anzutreffen, wo die Himmel inzwischen leer sind und die ewige Seligkeit kein Privileg mehr ist. Für Eckhart ist „Seligkeit“ im Hier und Jetzt zu erfahren, wenn der Mensch das „Nun“ des göttlichen Seins (2) für sich realisiert.
(1) Alle jene Bilder und Vorstellungen aber sind der Balken in deinem Auge. Drum wirf‘ sie hinaus, alle Heiligen und Unsere Frau aus deiner Seele, denn sie alle sind Kreaturen und hindern dich an deinem großen Gott. Ja,selbst deines gedachten Gottes sollst du quitt werden, aller deiner doch so unzulänglichen Gedanken und Vorstellungen über ihn…
(Quint Einleitung, S. 32)
(2) Nehme ich das Nun, so begreift das alle Zeit in sich. Das Nun, in dem Gott die Welt erschuf, das ist dieser Zeit so nahe wie das Nun, in dem ich jetzt spreche, und der Jüngste Tag ist diesem Nun so nahe wie der Tag, der gestern war.
(Quint 10, S. 195)
Wenn es aber um heil statt heilig ginge, hätte Meister Eckhart immer noch einige bedenkenswerte, allerdings auch provozierende Anregungen und Vorschläge in die Welt zu setzen – wie man im Folgenden betrachten kann.