Meister Eckhart (1260 – 1328) ist heute…
in unseren Breiten kein Unbekannter mehr, auch wenn sein Name zeitweise nur mit Kalendersprüchen und mehr oder weniger passenden Zitaten in den Büchlein der Betrachtungs- und Erbauungsliteratur in Verbindung gebracht wurde, mit sinnigen Texten zu poetischen Bildern. Natürlich war er in der Fachliteratur spätestens seit H. S. Denifle (1886) wieder präsent, wurde übersetzt, übertragen, gedeutet und diskutiert. Aber dass man ihn kennen würde, wagen heute die Wenigsten zu behaupten – zu fremd, diffizil und philosophisch anspruchsvoll werden seine Predigten empfunden, von den lateinischen Texten ganz zu schweigen. Ja selbst die Sekundärliteratur ist meist schwere Kost.
Meister Eckhart verstehen zu wollen haben überdies viele Willige resig-nativ zurückgestellt (1). Von welchem Deutungsansatz her sollte man sich dem Verständnis nähern, und wie ist seine Sprache in die heutige Erfahrungswelt zu transferieren, die entsprechende Sprach- und Denkmuster nicht gleich bereithält. Mancher Leser erschrickt auch über die Radikalität und Novität zahlreicher Aussagen und fragt sich, ob das tatsächlich so zu nehmen ist, wie es da steht.
(1) Wer diese Rede nicht versteht, der bekümmere sein Herz nicht damit. Denn solange der Mensch dieser Wahrheit nicht gleicht, so lange wird er diese Rede nicht verstehen. Denn es ist eine unverhüllte Wahrheit, die da gekommen ist aus dem Herzen Gottes unmittelbar.
(Quint 32, S. 309)
Schließlich ist Meister Eckhart kein l‘ art pour l’art- Prediger, der schöne Worte macht und geschmackvoll argumentiert. Er will beherzigt werden. Dieses alte Wort vom Herzen als Mitte der Person passt recht treffend auf Eckharts Rede vom Seelengrund, in dem nach seiner Predigt die Gottesbegegnung sich ereignet. Und der Weg dorthin, der ein Nicht-Weg ist, will beschritten werden – nicht im Wollen, sondern im Lassen.
Da ist der Leser dann bereits in der scheinbaren Paradoxie mancher Eckhartschen Rede, die in unserer rational- logisch funktionierenden Welt höchst verdächtig erscheint – aber reizvoll für den ist, der beispielsweise Kontakt mit dem Tao und Zen hat oder bereit ist, ein „trans-“ anzuerkennen: Die Vorstellung und Rede von einer trans- personalen Gottheit z.B. (2) unterläuft da alle Logik der Dogmatik und Theologie.
(2) (Das Göttliche), dieses einige Eine ist ohne Weise und ohne Eigenheit. Und drum: Soll Gott je darein lugen (in den Seelengrund), so muß es ihn alle seine göttlichen Namen kosten und seine personhafte Eigenheit; das muß er allzumal draußen lassen, soll er je darein lugen. Vielmehr, so wie er einfaltiges Eins ist, ohne alle Weise und Eigenheit, so ist er weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist in diesem Sinne und ist doch ein Etwas, das weder dies noch das ist.
(Quint 2, S. 164)
Eine Zugehensweise zu einem angemessenen Verständnis von Gott bzw. dem Göttlichen ist für Eckhart die Theologia negativa, die Rede von Gott in Verneinung: Das Göttliche ist nicht Person z. B. (3), es ist nicht „Vater, Sohn und Hl. Geist“ usw.
(3) Die Meister sagen, daß aus dem obersten Teil der Seele zwei Kräfte ausfließen. Die eine heißt Wille, die andere Vernunft. Die höchste Vollendung dieser Kräfte ( aber) liegt in der obersten Kraft, die da Vernunft heißt. Die kann niemals zur Ruhe kommen. Sie erstrebt Gott nicht, sofern er der Heilige Geist ist und (auch nicht), sofern er der Sohn ist: sie flieht den Sohn.Sie will auch Gott nicht, sofern er Gott ist. Warum? Weil er da (als solcher noch) einen Namen hat. Und gäbe es tausend Götter, sie bricht immerfort hindurch: sie will ihn dort, wo er keinen Namen hat. Sie will etwas Edleres, etwas Besseres als Gott, sofern er (noch) Namen hat.
(Quint 49, S. 385)
Warum also nicht einmal Meister Eckhart selbst in einer Reihe von Negativ- Aussagen vorstellen: eine Eckhartologia negativa also.